Sonntag, 7. Dezember 2008

Die Überquerung des Flusses

Schon Tag sieben! Hier die Geschichte für heute:


Es lebten einmal zwei Zenmönche, die auf der Rückreise zu ihrem Tempel einen Wald durchquerten. Als sie zum Fluss kamen, sahen sie dort eine Frau, die weinend am Flussufer saß. Sie war jung und hübsch. „Was ist mit dir los?“ fragt der ältere Mönch.
„Meine Mutter liegt im Sterben“, sagt die junge Frau. „Sie ist alleine zu Hause auf der anderen Seite des Flusses, und ich kann ihn nicht überqueren. Ich habe es versucht, aber die Strömung reißt mich weg, und ohne Hilfe kann ich den Fluss nicht überqueren. Ich dachte schon, dass ich meine Mutter nicht mehr lebend wiedersehen würde, aber jetzt wo ihr da seid, zusammen könntet ihr mir bei der Überquerung helfen…
„Wenn wir nur könnten!“ bedauerte der jüngere Mönch. Aber die einzige Art dir zu helfen wäre, dich über den Fluss zu tragen, und unser Keuschheitsschwur verbietet uns jeglichen Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Es ist uns verboten. Es tut mir Leid.“
„Mir tut es auch Leid“, sagte die Frau und begann zu weinen.

Der ältere Mann blickte ihr in die Augen und sagte einfach: „Steig auf.“
So trug der alte Mönch die Frau auf seinen Schultern über den Fluss gefolgt vom jungen Mönch. Auf der anderen Seite näherte sich die Frau dem alten Mann, um ihm die Hände zu küssen. „Es ist in Ordnung. Es ist in Ordnung“, sagte er und zog seine Hand zurück. Die Frau verneigte sich dankbar und demütig, nahm ihre Kleider und lief den Weg zum Dorf hinunter. Die Mönche, ohne ein Wort zu wechseln, setzten ihren Weg in Richtung des Tempels fort. Es lagen noch zehn Stunden Fußweg vor ihnen. Kurz vor dem Ziel sagte der junge Mönch zum alten: „Du kennst besser als ich unseren Keuschheitsschwur. Dennoch hast du diese Frau über den ganzen Fluss getragen. Erklär mir dies.“
„So ist es“, sagte der alte Mönch, „ich trug sie über den Fluss. Aber was ist mit dir los, dass du sie immer noch auf deinen Schultern trägst?“

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich habe die Geschichte sehr genossen. Ich bin sicher, dass der Monch in Rehen mit seine Gewissen ist. Und ich auch.